Das 25. Gautinger Internettreffen am 1. und 2. April 2025 beschäftigte sich mit der Frage, wie Diversität in der Medienpädagogik gedacht werden kann. Thematischer Fokus lag dabei auf queerer bzw. queersensibler Jugendarbeit. Auf dieser Seite finden Sie Präsentationen, Fotos und Infos von der Tagung.
Keynote von Nain Heiligers (Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung, Köln): How are you? Die Lebenssituation von LSBTIQA* Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bayern
Nain Heiligers beleuchtete die Lebenssituation von LSBTIQA* Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bayern, basierend auf der HAY-Studie. Ziel der Studie war es, die Lebenssituation und das Wohlbefinden dieser Gruppe systematisch zu erfassen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Identitätsentwicklung für queere Jugendliche eine große Herausforderung darstellt. Sie sind mit Diskriminierung und Gewalt in verschiedenen Lebensbereichen konfrontiert, was zu einem Anstieg von Angstzuständen, Depressionen sowie Suizidgedanken und -versuchen führt. Vor allem die Schule, das Internet und die sozialen Medien sind Orte an denen häufig Diskriminierung stattfindet. Trotz dieser Belastungen gibt es auch positive Einflüsse: Beratung und die Unterstützung durch ein positives Umfeld können das Wohlbefinden und die Resilienz fördern.

Nain Heiligers ging darauf ein, wie bedeutsam die Regenbogenkompetenz in der Sozialen Arbeit ist, um Diskriminierung zu vermeiden. Die Studie legte zudem die Notwendigkeit dar, bürokratische Hürden für Transitionsmaßnahmen abzubauen und den Zugang zu sicheren, queeren Informationen zu erleichtern.
Abschließend betonten die praktischen Implikationen der Studie die staatliche Verantwortung, Resilienz zu fördern und Angebote für queere Menschen auszubauen, sowie eine vertiefte Forschung, um spezifische Erfahrungen und Bedarfe innerhalb der LSBTIQA* Community besser zu verstehen.
Keynote von Saskia Draheim (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Jugendliche Social-Media-Nutzung im Kontext von Gender als Grundlage der Entwicklung eines Medienkonzepts
Der Vortrag von Saskia Draheim befasste sich mit der Rolle von Social Media in der Lebenswelt von Jugendlichen und der Entwicklung eines geschlechterreflektierenden Medienkonzepts in der Jugendarbeit. Im Rahmen der Studie „Decoding Gender in Social Media“ wurde untersucht, wie sich Social Media geschlechterreflektierend in die pädagogische Praxis integrieren lässt.
Social Media ist für Jugendliche ein wesentlicher Bestandteil ihrer Medienwelt und prägt maßgeblich ihre Lebensgestaltung. Dabei dominieren dort oft traditionelle Geschlechterbilder, während Geschlechtervielfalt selten sichtbar ist. Die Studie zeigte, dass die Perspektiven der befragten Jugendlichen auf Geschlecht und sexuelle Orientierung variieren. Social Media bietet einerseits Chancen zur Selbstdarstellung und Identitätsarbeit, doch übt auch Druck aus, insbesondere bei der Reproduktion binärer Geschlechternormen.

Die Studie zeigte zudem, dass queere Jugendliche und cis-Mädchen besonders häufig Erfahrungen mit Hate Speech gemacht haben. Als Reaktion darauf ziehen sich viele aus Social Media zurück oder teilen Inhalte nicht mehr.
Trotz dieser Herausforderungen betrachten alle befragten Gruppen Social Media als wichtige Plattform zur Vernetzung, zum Austausch und zu Vergemeinschaftung. Sie schätzen den Zugang zu (marginalisiertem) Wissen und sehen bestimmte Social Media Accounts als Safe Space.
In der pädagogischen Praxis wird empfohlen, die Vielfalt von Lebenswelten und Geschlechteridentitäten zu berücksichtigen, Diskriminierung und Hierarchien zu thematisieren und demokratische Verhältnisse zwischen allen Geschlechtern zu fördern. Das Handlungskonzept zu Social Media und Geschlecht in der offenen Kinder- und Jugendarbeit steht öffentlich online zur Verfügung und kann heruntergeladen werden.
Keynote von Falk Steinborn (Anyway e.V., Köln): Warum braucht es eine Queere Jugendmedienarbeit?
1. Warum braucht es queere Jugendarbeit?
Queere Jugendarbeit richtet sich gezielt an LSBTIQ*-Jugendliche. Sie schafft safer spaces, in denen Akzeptanz, Austausch und Unterstützung durch peer groups und oft auch queere Fachkräfte möglich sind. Im Unterschied zur queersensiblen Jugendarbeit, die versucht, möglichst inklusiv und offen für alle Jugendlichen zu sein, steht in der queeren Jugendarbeit das Queersein als verbindendes Element im Mittelpunkt. Queere Angebote sind bisher rar, häufig ehrenamtlich getragen und unterfinanziert – trotz rechtlicher Verankerung im SGB VIII (§§ 9, 11).
2. Warum braucht es Medienarbeit?
Medienarbeit fördert zentrale Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung und ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft. Dabei bildet Medienkompetenz eine wichtige Voraussetzung, u.a. für die aktive Mitgestaltung.
Falk Steinborn weist dabei auf Dieter Baacke und Stefan Aufenanger hin. Gemäß Baacke und Aufenanger umfasst Medienpädagogik verschiedene Dimensionen: Von der reinen Nutzung über kreative Produktion bis hin zur kritischen Reflexion medialer Inhalte.
3. Warum braucht es queere Medien?

Queere Medien bieten Sichtbarkeit, stärken Identität und fördern Gemeinschaft. Von historischen Heften wie Der Eigene bis hin zu heutigen Plattformen wie queer.de, L.MAG oder queeren Podcasts – sie zeigen alternative Lebensentwürfe und bieten Orientierung im Alltag queerer Jugendlicher.
Fazit
Queere Jugendmedienarbeit verbindet queere Jugendarbeit, queersensible Jugendarbeit und Medienbildung-pädagogik. Sie begleitet junge LSBTIQ*-Menschen in ihrer Identitätsentwicklung, Selbstverwirklichung und sozialen Teilhabe. Digitale Medien bieten hier besondere Chancen: Sie ermöglichen Anonymität, sind niedrigschwellig zugänglich und fördern individuelles Ausprobieren – oft lange vor einem Coming-out im „realen“ Leben.
Talk „jung & queer“ mit Stadtschulrat Florian Kraus und jungen Menschen

Beim Talk „jung & queer“ diskutierten sieben queere Jugendliche mit Florian Kraus (Stadtschulrat der Landeshauptstadt München) über ihre Lebensrealitäten und die Rolle von Schule, außerschulischen Angeboten und digitalen Medien. Moderiert wurde der Talk von Johanna Beier (PI-ZKB) und Sophia Kiehlmann (SIN – Studio im Netz e.V.). Einige wichtige Aspekte der Diskussion:
- Reale und digitale Räume
Orte wie die „Bibliothek der Vielfalt“ oder die GSA an der FOS-Gestaltung bieten queeren Jugendlichen Orte für Austausch, Unterstützung und Zugehörigkeit. Auch digitale Medien schaffen wichtige Verbindungen und stärken das Gefühl, mit der eigenen Identität nicht allein zu sein. Gleichzeitig müssen weitere Orte (online und offline) geschaffen werden, an denen Jugendliche ihre Gefühle ausdrücken dürfen und ernst genommen werden. - Fehlende Strukturen in Schulen
Viele Schulen bieten kaum Angebote für queere Menschen an, obwohl Sensibilität vorhanden ist. Die Jugendlichen berichten, dass es zu wenige Vertrauenspersonen gibt und sie oft für die Schaffung queerer Räume verantwortlich sind – ein Kraftaufwand, der nur schwer zu bewältigen ist. Im Talk wird betont, dass diese Verantwortung bei den Schulen und Trägern liegt, nicht bei den Schüler*innen. - Rolle der Stadt
Die Stadt könne Schulen durch Schulungen von Fachkräften und gezielte Diversitätsförderung unterstützen. Gleichzeitig sei mehr Freiheit nötig, um diversitäts- und gendersensible Bildungsarbeit in städtischen Einrichtungen umzusetzen. - Frühkindliche Bildung Im Talk wird empfohlen, Aufklärung auch schon mit Kindern zu machen, etwa über altersgerechte Literatur. Frühzeitig Akzeptanz zu fördern sei ein effektives Mittel gegen z.B. Ausgrenzung. Neben schulischen Maßnahmen wurde auch auf die Verantwortung von Eltern hingewiesen.
- Digitale Medien – Chancen & Herausforderungen
Queere Creator*innen auf Social Media-Plattformen fördern Sichtbarkeit und Aufklärung im Netz. Für viele Jugendliche sind solche Inhalte zentral für ihr Coming-Out und beim Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls. Zugleich erleben Jugendliche viel Hass im Netz – besonders transfeindliche und intersektionale Diskriminierung. Algorithmen und Ausgrenzungen in der eigenen Bubble verstärken das Problem zusätzlich. - Einsatz für Toleranz und gegen Hass
Im Talk wurde die Bedeutung einer solidarischen Haltung mit queeren Menschen betont, auch dann, wenn diese nicht anwesend sind. Auch die Förderung von Medienkompetenz spiel eine wichtige Rolle, um bspw. Hass zu erkennen und sich dagegen zu wehren. Die Stadt München fördert u.a. die Sichtbarkeit queerer Menschen mit vielfältigen Angeboten auf münchen.de.
Fazit
Queere Jugendliche brauchen sichere Räume, verlässliche Strukturen und Menschen, die Verantwortung übernehmen. Medien, Bildung und Haltung – digital wie analog – spielen dabei zentrale Rollen.
Praxisimpulse:
- Gendersensible Jugendmedienarbeit – Was gibt’s zu wissen und wie kann ich es umsetzen?
Steff Brosz, JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München (Präsentation) - Fierce! Potentiale queerer JugendMedienpädagogik – Ein Einblick in gesammelte Erfahrungen des Projektes
Stefan Hintersdorf, Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW, Köln (Handreichung) - diversity@school – ein Aufklärungsprojekt für eine offene Gesellschaft
Lukas Huber, diversity München e.V. (Website) - Die Bibliothek der Vielfalt – Pilotprojekt, Safe Space und inklusive Übungsfirma
Dr. Susi Nagele, Referat für Bildung und Sport der LH München (Website) - Einblick in die Projekte Kuntergrau, Queerblick, GENDERS* und mehr
Falk Steinborn, Anyway e.V., Köln (Präsentation) - Nicht allein im Netz lassen: Anregungen zur konzeptionellen Integration des Themas „Social Media und Geschlecht“ in der pädagogischen Praxis
Saskia Draheim, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, und Denise Gühnemann, Fachgruppe „Medien und Geschlechterverhältnisse“ der GMK (Präsentation und Padlet) - Discord als Begegnungsort: Community Building als Safe Space
Melanie Ratjen, Münchner Stadtbibliothek (Präsentation)
Barcamp-Ergebnisse
Zum Tagungsabschluss fand ein Barcamp statt, bei dem folgende Sessions angeboten wurden:
- Session 1: Sicherere Räume schaffen: Awareness-Konzept von Jugend hackt 2 Go (Präsentation)
- Session 2: Austausch zu Konzepten & Umsetzung einer GSA an Schulen
- Session 3: Vereinbarung kirchlicher Träger*innen & Queerer Jugendmedienarbeit
- Session 4: Wut (u.a. Wutraum)
- Session 5: Community Building
- Session 6: Medienscouts WHG
- Session 7: Frag queere Jugendliche
- Session 8: Utopie – Wie sieht das perfekte queersensible Jugendhaus aus? (Brainstorming)
- Session 9: Was muss Schule tun, um ein Safer Space zu sein?
- Session 10: Queeres Netzwerk Bayern (Präsentaion)
Die Ergebnisse aus einigen Barcamp-Sessions können stichpunktartig hier aufgerufen werden.
Impressionen

















