Tagungsbericht zum 20. Gautinger Internettreffen – #20JahreGIT

Das Gautinger Internettreffen fand am 26. und 27. März 2019 bereits zum 20. Mal statt und beleuchtete zum Jubiläum die Frage nach einer geeigneten „(Medien-)Pädagogik für eine digitalisierte Gesellschaft“ aus verschiedenen Perspektiven.

Die Eröffnungs-Keynote gestaltete der Berliner Netzaktivist Markus Beckedahl, der das Blog netzpolitik.org gründete. Er beleuchtete mögliche Folgen der Online-Überwachung durch staatliche und privatwirtschaftliche Dienste und betonte die Notwendigkeit der Förderung alternativer Angebote. Infolge zahlreicher Datenpannen und Überwachungsskandale gibt es heute ein gesellschaftliches Bewusstsein für Datenschutz, doch zugleich gewöhnen wir uns an „smart assistants“, die ebenfalls unzählige Daten sammeln. Die aktuelle EU-Urheberrechtsreform zeige erneut, dass die Utopie eines offenen, dezentralen Netzwerkes derzeit nicht realisierbar ist, sondern wir abhängig von Privatunternehmen sind. Automatisierte Systeme und künstliche Intelligenzen beeinflussen unsere alltäglichen Handlungen, dabei treten oftmals auch fehlerhafte algorithmische Entscheidungen auf. Beckedahl fordert daher mehr Transparenz, die Entwicklung von fairen Datensystemen, intensivere Forschung zu Anonymisierung und Big Data sowie intensivere Anstrengungen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen.

Prof. Dr. Franz Josef Röll von der Hochschule Darmstadt warf einen soziologischen Blick auf die Nutzung digitaler Medien. Im Mittelpunkt seines Vortrages stand dabei die Frage, was das Medium mit uns Menschen macht.

Er stellte als ein Potenzial der Digitalität heraus, dass eine neue Gemeinschaftlichkeit entstehe und neue Räume durch digitale Medien geschaffen würden. Damit entstünde auch eine neue Form der Identitätsbildung, in der das Bildhandeln dominiere und die Online-Präsenz unabdingbar sei. Die Selbstinszenierung erreiche neue Dimensionen, die Macht der Bilder muss hinterfragt werden. In der Pädagogik müssten wir uns mit diesen neuen Angeboten auseinandersetzen und zum eigenverantwortlichen Handeln befähigen. Anstelle eines defizitorientierten Ansatzes sollten wir mit einem wachstumsorientierten und konnektivistischen Ansatz arbeiten, Lernende müssen selbst Verantwortung für ihr Lernen übernehmen und zum Meta-Lernen befähigt werden.

Wie man die Themen „Robotik“ und „Künstliche Intelligenz“ für Kinder und Jugendliche erfahrbar macht und eine kritische Auseinandersetzung damit anregen kann, zeigte Christoph Kremer auf, Leiter der Ars Electronica Centers in Linz.

Bei der Ars Electronica wird Medienkunst als Mittel eingesetzt, um moralische und ethische Fragen zu unserer digitalen Gesellschaft zu thematisieren. Mit kurzen Videobeispielen bewies er, wie leicht es gelingt, bei uns Menschen Emotionen für Roboter zu wecken, die diesen völlig unbekannt sind. Künstliche Intelligenzen seien heute bereits in der Lage, eigene Musikstücke zu komponieren, was v.a. in der Spieleentwicklung bereits praktiziert wird. Durch spielerische Angebote wie Google Quickdraw werden User*innen angelockt, die das System mit Informationen füttern und somit kostenlos arbeiten. In Linz können u.a. Ausstellungen wie „Hack a robot“ und Workshops zur Künstlichen Intelligenz besucht werden.

Am Nachmittag des ersten Tages wurden unterschiedliche Praxisimpulse vorgestellt:

  • Melda Werstein präsentierte das „Fachprogramm Medienpädagogik“ des Bayerischen Jugendrings, mit dem medienpädagogische Projekte und Maßnahmen unterstützt werden. Alle Infos finden sich auf der Website.
  • Die „Medienfit Challenge“ mit Kurzprojekten zur praktischen Medienbildung konnte unter Anleitung von Christoph Kaindel (mediamanual.at, Wien) erprobt werden. Die Challenge ist auch im Web zu finden.
  • Im Workshop des Münchner FabLabs Erfindergarden zeigte Andreas Kopp, wie sich mit Inkscape und Vinylcut eigene Turnbeutel kreieren lassen.
  • Zahlreiche Ansätze zur praktischen Medienbildung im Spannungsfeld zwischen Teddybär und Robotik präsentierten Tünde Werner, Christine Aumiller, Kathrin Grininger und Joe Hensel (Facharbeitsgruppe Medienpädagogik der städtischen Kindertageseinrichtungen der LH München).
  • Die Plattform Plamedi mit Arbeitsmaterialien und Online-Kursen für Medien und Diversität wurde von Dr. Masoumeh Bayat und Julia Bergmeister (Projekt PLAMEDI, München) vorgestellt. Das Projekt ist hier online anzutreffen.

Des Weiteren fand die Abschlusspräsentation der medienpädagogischen Projekte statt, die im Förderprogramm des Stadtjugendamts München und des Netzwerks Interaktiv im Herbst 2018 gefördert worden sind. Zu allen Projekten ist auch eine Online-Dokumentation abrufbar.

Im Abendprogramm gab es eine kleine #20JahreGIT-Jubiläumsfeier sowie eine Impro-Show des mixxit-Theaters München, das die Geschichte von der Internetfee und dem schnellsten Professor der Welt improvisierte.

Der zweite Tag begann mit einem Plädoyer für „weniger Disziplin“ und mehr Interaktion zwischen Medienpädagogik und Informatik von Prof. Dr. Thomas Knaus (PH Ludwigsburg / FTzM Frankfurt am Main). Die übergreifende Frage seines Vortrags bezog sich auf die Bedeutung des digitalen Wandels für die Medienpädagogik. Dabei stellte er die Disziplinen Pädagogik und Informatik, die beide als gestalterisch zu bezeichnen sind und über ein kompliziertes Verhältnis verfügen, gegenüber. Er kritisierte die Machtkumulation von Technik und der damit verbundenen Ökonomie, die aufgrund von Bequemlichkeiten und Unwissenheit entsteht, und fordert eine stärkere Auseinandersetzung mit medientechnischen Entwicklungen innerhalb der pädagogischen Disziplin, während die Informatik eine vermehrt geistes- und kulturwissenschaftliche Reflexion von Technik benötigt. Die aktuelle Entwicklung führe zu dem Schluss: „Wer modelliert und codiert, der gestaltet die Welt!“ Um bei dieser Gestaltung mitzuwirken, müsse die Medienpädagogik intensiver mit der Informatik kooperieren.

Prof. Dr. Martin Geisler stellte im Rahmen des Gautinger Internettreffens seine neue Studie über dein Einsatz digitaler Spiele in der Medienpädagogik vor. Der Fokus lag dabei nicht auf dem Potential von Spielen in der Pädagogik, sondern auf der Rolle der Spielleitenden bei Computerspielprojekten.

Für diese Studie untersuchte er zum einen mit quantitativen Methoden die Merkmale der Spielleitenden, zum anderen mit qualitativen Methoden deren Haltung. So konnte er u.a. feststellen, dass für die Spielleitenden die Beobachtungsgabe und spontane Reaktionsfähigkeit bedeutend sind, ebenso wie ein vielfältiges Methodenrepertoire, das flexible Anpassungen ermöglicht. Geisler empfahl, stets kritisch gegenüber sich selbst zu bleiben und riet davon ab, Spiele nur als Mittel zum lernziel-orientierten Zweck einzusetzen.

Den „Interaktiv-Mediensalon“ zum Tagungsende gestaltete der Autor und Journalist Dirk von Gehlen (Leiter „Social Media/Inovationen“ bei der Süddeutschen Zeitung). Er stellte einen neuen Denkansatz vor, das Prinzip des Kulturpragmatismus, das mit Hilfe des Emoticons „Shruggie“ versinnbildlicht werden kann: ¯\_(ツ)_/¯

Von Gehlen forderte uns auf, Dinge auch einmal aus der Perspektive der Anderen zu betrachten und die eigene Weltanschauung in Frage zu stellen. Die Leitfrage sollte stets sein: „Was wäre, wenn das Gegenteil richtig wäre?“

Seiner Meinung nach sei Überforderung kein Problem, sondern „der Default-Modus unserer Zeit“, daher plädierte er für mehr Überforderungsbewältigungskompetenz. Wir müssten das Leben öfter als „Versuch & Irrtum“ betrachten, müssten Fehler zulassen und strategisch scheitern, um daraus zu lernen.

Am zweiten Tag waren die Teilnehmenden eingeladen, in einer Ideenwerkstatt eigene „Wegmarken einer Pädagogik für die digitalisierte Gesellschaft“ zu definieren. Zu diesem Thema wurde in vier Arbeitsfeld-spezifischen Kleingruppen gearbeitet:

  • Mit der Medienbildung in Schulen beschäftigte sich eine Gruppe, die von Dr. Sonja Moser moderiert wurde (LH München/ Referat für Bildung und Sport/ Pädagogisches Institut – Zentrum für kommunales Bildungsmanagement). Die Ergebnisse sind in dieser PDF-Datei nachzulesen.
  • Die Medienpädagogik in der außerschulischen Bildung wurde unter Leitungvon Lambert Zumbrägel unter die Lupe genommen (Bezirksjugendring Unterfranken, Würzburg). Die Wegmarken sind in einem Etherpad zusammengefasst.
  • Mit Medienpädagogik und politische Bildung setzte sich der Workshop von Danilo Dietsch (mediale pfade, München) auseinander. Die Ergebnisse sind bei Mentimeter skizziert.
  • Die Arbeitsgruppe zu Jugendpartizipation on- und offline wurde von Jürgen Ertelt moderiert (IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., Bonn). Dazu gibt es eine Mindmap und ein Padlet.

Die Ergebnisse der Ideenwerkstatt wurden in einem Graphic Recording von Isabelle Dinter, Team Grafische Visualisierung, skizziert. Das Gesamtergebnis steht hier als PDF-Datei zum Download bereit (15 MB).

Impressionen vom zweiten Veranstaltungstag:

Recap #20JahreGIT:

Alle Informationen zum Tagungsprogramm 2019 gibt es hier zum Nachlesen in der Tagungsbroschüre (PDF) sowie in der Programmübersicht.