Zwischen Resignation und Aufbruch: Das 15. Gautinger Internettreffen

Unter dem Titel „Internet – das Lebensnetz“ trafen sich mehr als 100 Fachkräfte aus der Medienpädagogik und der Jugendarbeit im Institut für Jugendarbeit Gauting, um beim 15. Gautinger Internettreffen über die Auswirkungen der digitalen Medien auf Bildung, Identität und Politik zu diskutieren. Dabei war deutlich zu spüren, dass die Sicht auf unsere digitalisierte Gesellschaft durch den NSA-Skandal erschüttert wurde. Die Unbeschwertheit früherer Jahre und die verheißungsvollen Erwartungen an neue, partizipative Möglichkeiten im Netz und an eine offenere, transparentere Welt, wurden aufgrund der Snowden-Enthüllungen untergraben. In vielen Beiträgen der Tagung war daher eine gewisse Enttäuschung, Ratlosigkeit und Resignation zu spüren. Zugleich gab es im „Jahr 1 nach Snowden“ jedoch zahlreiche neuen Handlungsanleitungen und Vorschläge, wie mit der neuen Realität umgegangen werden kann und wie sich dies im pädagogischen Kontext thematisieren lässt.

Michael Seemann, Kulturwissenschaftler und Blogger, wies im Eröffnungsvortrag der Tagung auf den „Kontrollverlust“ hin, den wir zur Kenntnis nehmen müssen: Wer glaube, er habe noch Kontrolle über seine persönlichen Daten, oder er könne diese Kontrolle wieder erlangen, der liege falsch. Es gelte nun, z.B. durch Verschlüsselungstechniken private Informationen zu schützen und sich nicht dank Facebook-Privatsphäreneinstellungen in falscher Sicherheit zu wiegen. Verschlüsselung diene nicht nur der eigenen Sicherheit, sondern sei auch ein „Akt der Gastfreundschaft“. Seemann beendete seinen Input mit der optimistischen Prognose: „Das neue Spiel wird besser“, schließlich könnten die neuen Spiel- und Verhaltensregeln noch beeinflusst und an die gesellschaftlichen Anforderungen angepasst werden. (Mehr von Seemann gibt es unter www.ctrl-verlust.net sowie unter www.mspr0.de.)

Jürgen Ertelt von IJAB e.V./Projekt „youthpart“ machte sich Gedanken über die Rolle der „Medienpädagogik in Zeiten entgrenzter Überwachung“. Angesichts der beunruhigenden Ausgangslage rief er dazu auf, auch in der Jugendarbeit aktiv zu werden und die Heranwachsenden zu einem selbstbestimmten Umgang mit ihrem Kommunikationsverhalten zu animieren. Das Basteln von Aluhüten als „Abhörschutz“ diente dabei eher als unterhaltsame Denk- und Diskussionsanregung, weitere Möglichkeiten seien beispielsweise das Informieren über Verschlüsselungstechniken (z.B. im Rahmen von Crypto-Parties) und das Nutzen freier, alternativer Angebote (Open-Source-Software). Mit Firmen und Programmierern sollte ein engerer Schulterschluss eingegangen werden, um deren Kompetenzen für eigene Zwecke zu nutzen, zudem müssten stets auch die gesellschaftlichen Dimensionen erklärt und offengelegt werden. (Die Präsentation von Ertelt ist hier zu finden.)

Im Rahmen der Praxisimpulse wurden einige Workshops zu dieser Thematik angeboten:
So stellte Maria Schröder von der Open Knowledge Foundation das Projekt „Jugend hackt“ vor, in dessen Rahmen jährlich in Berlin eine Nachwuchsförderung für talentierte Programmierer/innen stattfindet (hier ihre Slides).
Das offene Netzwerk Freifunk wurde vom Augsburger Aktivisten Christian Steinherr präsentiert, der – ebenso wie gleichgesinnte in zahlreichen deutschen Städten – daran arbeitet, ein freies, kostenlos zu nutzendes WLAN in Bürgerhand anzubieten (hier seine Präsentation).
In einem Workshop für Technik-Bastler stellten pomki.de und das Studio im Netz u.a. den Linux-basierten Kleincomputer „Rasperry Pi“ vor, den Elektronik-Baukasten „MaKeyMaKey“ und den Online-Lego-Editor „Build With Chrome“.

Den zweiten Tag eröffnete Alexander Grobbin vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) mit der Vorstellung seiner Studie zum „Informationsverhalten von Kindern im Internet“. Die Untersuchung zeigte das Verhalten von Kindern im Alter zwischen 6- und 13 Jahren bei drei Kindersuchmaschinen auf und stellte u.a. fest, dass in der Schulzeit deutlich mehr als in der Ferienzeit gesucht wird, was auf eine intensive Nutzung von Kindersuchmaschinen im schulischen Kontext schließen lässt. Der Großteil der Suchanfragen sind Ein-Wort-Suchen, wobei auch Begriffe wie „Sex“ gesucht würden, was aber aufgrund der Neugierde von Kindern und der Thematisierung im Biologieunterricht nicht beunruhigend sei (weitere Informationen zu dieser Studie: http://www.dji.de/index.php?id=1276).

 

Markus Gerstmann vom ServiceBureau Jugendinformation Bremen betrachtete YouTube als jugendkulturelles Massenmedium und als Instrumet der „Peer-Education“. Das Portal befriedigt ganz verschiedene Bedürfnisse der Jugendlichen, u.a. dem nach Information, Unterhaltung und Kommunikation. Es bietet aber auch Möglichkeiten zu Selbstdarstellung und –erfahrung, hier entstehen eigene Szenen und eigene Stars: Letztere verdienen z.T. sehr gut an ihrer YouTube-Tätigkeit, Probleme gibt es derzeit jedoch mit Schleichwerbung in populären Clips. Dennoch ist das Portal aus jugendkultureller wie auch (medien-)pädagogischer Sicht spannend zu beobachten, da es relevante Bezugspunkte für die Lebenswelt Jugendlicher liefert (eine Linksammlung von Gerstmann findet sich unter http://pad.jugendinfo.de/youtube).

Prof. Dr. Ulrich Deinet von der Fachhochschule Düsseldorf beschäftigte sich mit dem Aneignungskonzept und der „Cultural Historical Activity Theory“, zwei Ansätzen zur soziologischen Betrachtung und Erklärung von jugendkulturellen Räumen. Er verdeutlichte, wie sich Jugendliche eigene Räume schaffen und aneignen (z.B. öffentliche Plätze als Treffpunkte). Auch Medien stellen heute wichtige Aneignungsräume dar, in denen Vieles gelernt wird und gesellschaftliche Werte vermittelt werden. Die Pädagogik und die Jugendarbeit stehen vor der Herausforderung, anregungsreiche und aktivierende Umgebungen zu schaffen, die Jugendlichen als Rückzugsräume und gegenkulturelle Räume dienen.
In einem anschließenden Workshop präsentierte Deinet Methoden für die Jugendarbeit, seine Folien stehen zum Download bereit.

Den Abschluss des Internettreffens bildete traditionell ein Mediensalon in Kooperation mit der AG Interaktiv München. In diesem Rahmen zeigte der Journalist und Blogger Richard Gutjahr die zunehmende Vernetzung unserer Gesellschaft und die damit einhergehenden Veränderungsprozesse an historischen Beispielen auf. Beispielsweise arbeiteten Mitte des 19. Jahrhunderts tausende Chinesen für die Central Pacific Railroad Company, heute produziert Foxconn in Asien amerikanische Smartphones. Zudem berichtete er von seinem Besuch des NSA-Data-Center in Utah, in dem ein Speicherplatz von 700 GB pro Erdenbürger/in angelegt ist. „Wir kriegen den Geist nicht mehr zurück in die Flasche“, diagnostizierte Gutjahr, wir können die Überwachung und Datenspeicherung nicht mehr stoppen, sondern müssen uns mit ihr arrangieren und entsprechend verantwortungsbewusst agieren. Mehr über seinen Utah-Besuch und weitere Artikel sind unter www.gutjahr.biz zu finden.

Das Abendprogramm am ersten Veranstaltungstag widmete sich der Medienkunst: Rosa Menkman aus Amsterdam berichtete über „Glitch Art“, die Kunst des Unperfekten und des digitalen Fehlers. Glitch-Artists manipulieren Geräte oder Dateien, um Fehler herbeizuführen, und nutzen die Ergebnisse konstruktiv, um aus gängigen Formatvorlagen auszubrechen und hinter die Kulissen digitaler Medienprodukte zu blicken. Einige Ergebnisse von Menkmans Arbeit sind unter http://rosa-menkman.blogspot.de zu sehen.

In weiteren Praxis-Workshops während der Tagung wurde z.B. das Programm Placity vorgestellt, ein Online-Editor zur Gestaltung eigener Mobile-Games, der vom „Kaiserdom App Project“ in Zusammenarbeit mit medien+bildung.com entwickelt wurde. (Mehr zum Projekt in diesen Slides sowie bei www.placity.de.)
Die Arbeit der Augsburger Medienscouts erläuterten sechs jugendliche Scouts aus dem Gymnasium bei St. Anna zusammen mit der Projektleiterin Anna Vahl von der Kommunalen Jugendarbeit Augsburg.
Die Kreisjugendringe München-Stadt und –Land präsentierten ihre Social Media Guidelines, mit denen sie ihren Mitarbeiter/innen Anleitungen und Hilfestellungen für die Nutzung von Online-Medien an die Hand geben (Download).
Über die neue partizipative Politik machte sich der Netzpolitik-Aktivist Yannick Haan Gedanken und erläuterte, dass Jugendliche v.a. über spaßorientierte Informations- und Unterhaltungsangebote, über fiktionale Inhalte und Gaming-Ansätze erreicht würden.

Des Weiteren wurden die Ergebnisse von Medienprojekten aus München vorgestellt, die im Rahmen des städtischen Förderprogramms „Neue Medien und Internet“ finanziert wurden. Die Ergebnisse sind online dokumentiert unter www.kooperationsprojekte-muc.de.

Das 16. Gautinger Internettreffen wird am 17.-18. März 2015 stattfinden, aktuelle Informationen dazu werden im Lauf des Jahres unter www.gautinger-internettreffen.de veröffentlicht.

Weitere Informationen:

  • Eine Social-Media-Review mit Tweets, Fotos und Videos gibt es bei Storify.
  • Die Vorträge vom 15. Internettreffen sind als Videos abrufbar.
  • Ein Rückblick unseres Kooperationspartners IJAB ist hier zu lesen.

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