Tagungsbericht zum Gautinger Internettreffen 2022

Das Spannungsfeld zwischen Medien und Nachhaltigkeit und eine Auseinandersetzung damit aus medienpädagogischer Perspektive standen im Mittelpunkt des „22. Gautinger Internettreffens“ am 26. und 27. April 2022. Die Referierenden und Teilnehmenden beleuchteten, wie Ansätze der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in die Jugendarbeit und Medienpädagogik aufgenommen können und wie wir für eine nachhaltige (Medien-)Nutzung sensibilisieren können. Einige Ergebnisse und Materialien finden Sie auf dieser Seite.

Das Internettreffen wurde als hybride Tagung realisiert, Veranstalter waren das Institut für Jugendarbeit in Gauting, das Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München und das SIN – Studio im Netz.

Begrüßung

Eröffnet wurde die Tagung von Martin Holzner, dem Direktor des Instituts Gauting, der als Hausherr die Teilnehmenden begrüßte und die Besonderheiten des ersten hybriden Internettreffens hervorhob. Er stellte zudem Lorena Weik als neue Referentin des Instituts für den Bereich Medienpädagogik vor.

Ilona Schumacher, Vizepräsidentin des Bayerischen Jugendrings, verwies in ihrem Grußwort auf die medienpädagogischen Aktivitäten des BJR und betonte, dass die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen heutzutage von der Digitalisierung und der Klimakatastrophe geprägt sei, weshalb wir in der pädagogischen Arbeit darauf Bezug nehmen müssen.

Katrin Habenschaden, 2. Bürgermeisterin der LH München, betonte ebenfalls die Notwendigkeit von Medienbildung und BNE, die beide vor großen Herausforderungen stünden. Ziel sollte es sein, den Heranwachsenden die Auswirkungen des eigenen Handels verständlich zu machen, um den nachkommenden Generationen eine lebenswerte Welt zu überlassen.

Für die weiteren Mitveranstalter begrüßten Johanna Beier (Pädagogisches Institut – Zentrum für kommunales Bildungsmanagement), Gudrun Seuster (Abt. KITA im Referat für Bildung und Sport) und Björn Friedrich (SIN – Studio im Netz.)

Prof.in Dr.in Verena Ketter, Hochschule Esslingen:
Digital geprägte Bildung für nachhaltige Entwicklung. Perspektiven für die Medienpädagogik

Verena Ketter widmete sich der Frage, was Nachhaltigkeit mit digital gestützter Bildung zu tun hat und wie sich die Felder gegenseitig befruchten können. Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele stellen Fragen auch an die Medienpädagogik, weshalb das Verhältnis zwischen BNE und Medienpädagogik definiert werden solle.

Beide Kompetenzmodelle haben Parallelen, z.B. ein kritisch-konstruktives Bild des Subjekts und die Grundlage, gesellschaftliche Entwicklungen zu erfassen, hinterfragen und beurteilen, um dann sozialverantwortlich zu handeln. Um einen Orientierungsrahmen digital geprägter Bildung für nachhaltige Entwicklungen zu erschaffen, wurde der „Stern der Nachhaltigen Entwicklung“ erweitert (vgl. Becker 2020). Wichtig sei zudem, dass die Dimensionen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern müssen zusammen gedacht werden müssen.

Ketter stellte zudem zahlreiche Beispielprojekte vor, die ihrer Präsentation (PDF) zu entnehmen sind.

Dr. Anja Kalch, Zentrum für Klimaresilienz an der Uni Augsburg:
Können Medien zur Nachhaltigkeit motivieren?

Mit der Wirkung von Medieninhalten auf Rezipient*innen beschäftigte sich Anja Kalch. Sie beleuchtete eingehen, dass die Berichterstattung über den Klimawandel bereits seit Mitte der 70er Jahre stattfindet, also seit fast 50 Jahren. Heute seien neben Berichten in den klassischen Massenmedien v.a. auch Äußerungen bei Social Media von großer Bedeutung.

Eine Untersuchung mehrerer Online-Postings kam zu dem Ergebnis, dass positive und aktivierende Posts die Intention anderer User*innen befördern, sich aktiv für mehr Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen. Daher sei die aktive Arbeit mit sozialen Medien überaus hilfreich, denn hierdurch würden konkrete Handlungsoptionen aufgezeigt und mit einer Vorbildfunktion verknüpft. Das Sharen sei zudem eine positive Möglichkeit der Mitgestaltung von gesellschaftspolitisch wichtigen Themen.

Hinzu komme, dass Postings mit direktem regionalem Bezug für die User*innen relevanter und spannender seien als allgemeine Themen und Berichte. Wir sollten daher Kinder und Jugendliche zur aktiveren Nutzung sozialer Medien animieren, auch für das Thema Nachhaltigkeit, damit sie nicht nur Medieninhalte gestalten, sondern auch Einfluss auf die Entwicklung unserer Welt nehmen.

Prof. Dominik Rinnhofer, Hochschule Macromedia Stuttgart:
Mit Eco-Games die Welt retten!

Was man unter „Eco-Games“ versteht, welche Potentiale diese bieten und wie sich Nutzer*innen ressourcenschonend verhalten können, stellte Dominik Rinnhofer dar. Er erläuterte eingangs, dass Spiele bereits seit rund 4500 Jahren zum menschlichen Kulturgut gehören und dass Spiele immer auch zur Krisenbewältigung gespielt wurden.

„Eco-Games“ sind z.B. Aufbauspiele, die Themen wie Kolonialisierung oder Ressourcenverbrauch behandeln, oder Games zu Recycling oder Schrott-Crafting. So könnten Inhalte spielerisch vermittelt werden, indem ökologisches Handeln Teil der Spieldynamik sei und wir Spieler*innen Handlungsmuster einüben, die wir auch im realen Leben umsetzen können. Alternativ könnten durch Respawing unterschiedliche Herangehensweisen getestet werden, ohne Konsequenzen zu fürchten.

Mit Blick auf die Gamesindustrie gebe es viele Kritikpunkte, z.B. der hohe Stromverbrauch durch immer bessere Grafik und kurzlebige Technik, die letztlich im Müll landet. Es gibt jedoch positive Entwicklungen, z.B. werde durch das „Cloud Gaming“ der Stromverbrauch auch zum ökonomischen Faktor für die Betreiber, die ihre Serverfarmen betreiben müssen und dies nun ökonomisch (wie ökologisch) optimieren.

Als User*innen sollten wir auf Standy-Zeiten und Grafikeinstellungen achten und die Hardware möglichst lange nutzen, zudem können wir auf die Verbrauchswerte von Geräten achten. Mehr dazu in Rinnhofers Präsentation.     

Gerda Sieben, jfc Medienzentrum, Köln: 
Nachhaltige Medienarbeit in der Praxis

Wie ist die Medienpädagogik heute aufgestellt, und was braucht sie, um wirklich nachhaltig zu sein? Damit beschäftigte sich Gerda Sieben, die sich ebenfalls auf die 17 Ziele der UNESCO berief, von denen Bildung zwar nur eines sei, jedoch ein sehr wichtiger Punkt.

Medienpädagogik stützt sich auf die Interessen der Jugendlichen, denen das Thema Umweltschutz ein sehr wichtiger Anliegen ist. Dieses Interesse solle aufgegriffen werden, um Wege aufzuzeigen, wie dieses Anliegen umgesetzt werden kann.

Der Ressourcenverbrauch (und Möglichkeiten zur Einsparung) müssten ebenso aufgegriffen werden wie das Verständnis unserer digital geprägten Welt (z.B. mit Blick auf allgegenwärtiges Tracking, Datenerfassung etc.). Die Medienökologie müsse thematisiert werden und reflektiert werden, um auf dieser Basis gemeinsame Handlungsalternativen zu entwickeln.

Digitale Tools und neue Strategien für die Transformation unserer digitalisierten Welt sind nötig, wir müssen nachhaltige Arbeitsverhältnisse schaffen und Jugendliche stärker beteiligen. Die Medienpädagogik muss politischer und auch nachhaltiger werden, wir müssen Strategien und deren Grenzen diskutieren, über kommerzielle und politische Zusammenhänge aufklären, um Handlungsveränderungen anzustoßen. (Präsentation als PDF)

Gabriele Rohmann, Archiv der Jugendkulturen Berlin, und Leonie Bremer, Fridays for Future Deutschland:
Jugend(kulturen), Protest(bewegungen) und mediale Vernetzung

Gabriele Rohmann unternahm einführend eine Zeitreise durch verschiedene Jugendkulturen, beleuchtete die Wahrnehmung der Szenen durch Medien, Wissenschaft und Politik und kritisierte die meist defizitäre Sichtweise, die kreative Potentiale ausblendete. Dabei verfügten diese Szenen stets über ein großes DIY-Potential, waren gut vernetzt und konnten gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ihren Provokationen und Rebellionen beleben. Heute sei die Bandbreite der Jugendkulturen größer, die Vielfalt sei gewachsen, auch durch die Vernetzungsangebote des Internets.

Leonie Brehmer erläuterte, dass bei „Fridays for Future“ der Schwerpunkt auf den Aktivitäten vor Ort liege, diese jedoch von der Online-Vernetzung leben. Sie betonte die intrinsische Motivation vieler beteiligter Jugendlicher, die auch im Organisationszirkel von FFF ehrenamtlich und ohne Bezahlung agieren. Die Perspektive, eigene Ideen ohne Vorschriften umsetzen zu können und gemeinsam mit anderen für ein Vorhaben eintreten zu können, sei die große Motivation für die Beteiligten.

Der Umgang mit dem eigenen Medienkonsum würde oft kritisiert, doch Bremer verwies darauf, dass der Eigenkonsum vergleichsweise wenige Ressourcen verbrauche. Die Politik müsse die Ziele einhalten, die sie unterschrieben habe, oder zumindest versuchen, sich diesen Zielen bestmöglich zu nähern. Zudem sei eine sozialverträgliche, gesamtgesellschaftliche Situation wichtig, damit Klimaschutz nicht nur für Menschen in privilegierter Stellung finanzierbar ist.

Zu ihrem Verhältnis zur Politik betonte Bremer, dass sie zu viel Nähe zu Politiker*innen vermeide, weil aus der Distanz mehr Druck ausgeübt werden könne. Sie will so lange Aktivistin bleiben, bis alle Parteien in ihren Programmen den Klimaschutz ernsthaft festschreiben. Der Aktivismus sei manchmal ermüdend, aber jeder kleine Erfolg ist ihr wichtig und liefert neue Motivation.

Praxisimpulse

In insg. acht Praxisimpulsen wurden weitere Aspekte des Tagungsthemas vertieft und Anregungen für die alltägliche pädagogische Arbeit gegeben. Die Impulse im Detail:

Unter dem Titel „Kleine Hände, große Taten“ zeigten Lena Stevens und Christiane Weller (Ökoprojekt MobilSpiel, München), wie der abstrakte Begriff „Nachhaltigkeit“ für Kinder begreifbar und erlebbar wird. Ausgewählte Methoden wie das Wertespiel konnten selbst erprobt werden. (zur Website)

Wie kann man Outdoor und Online die Natur entdecken? Beispielsweise mit dem Projekt BISA (Biodiversität im Schulalltag), das Thomas Gerl vom Ludwig-Thoma-Gymnasium Prien vorstellte. Am Lehrstuhl Didaktik der Biologie (LMU München) entwickelt er dieses Projekt zur Förderung der Artenkenntnis. Mehr dazu findet sich auf der Projekt-Seite.

Nachhaltig, digital, generationenübergreifend – so sind die Projekte von Green City aus München konzipiert, bei denen älteren Mitbürger*innen von jungen Menschen lernen, wozu Technologien genutzt werden können. Projekte wie „transfer – mobil sein, mobil bleiben“ und „APPsolut nachhaltig“ wurden von Veronika Fröhlich präsentiert und sind auch online zu finden.

Unter dem Motto „Integrität & Selbstwirksamkeit leben und fördern“ konzipieren Nina Rühr und Martin Hagler von SINN MEDIA, München, ihre Arbeit.  Sie fragten, wie sich die Selbstwirksamkeit und Integrität bei Kindern und Jugendlichen stärken lässt, und präsentierten eigene Beispiele, die Dialog und Beteiligung fördern und an die Lebenswelt anknüpfen. Mehr dazu gibt es in dieser Präsentation.

Wie Nachhaltige Medienarbeit in der Praxis umgesetzt werden kann, wurde in der Ideenschmiede mit Esther Lordieck vom jfc Medienzentrum Köln erarbeitet. Zu Begriffen wie „Aufklärungsarbeit vs. Energieverbrauch“ oder „Technischer Fortschritt vs. Langlebigkeit“ wurden Ideen entwickelt, zudem stellte sie eigene Projekte vor, die auf der Website zu finden sind.

YEAH statt BUH lautet ein Slogan von rehab republic aus München. Anne Schlieker zeigte auf, wie mit dem Ansatz der Umweltpsychologie wirksame Aktionen entstehen können. Mit Emotionen wird dabei versucht, die Menschen mitzunehmen und in kleinen Schritten zu Veränderungen zu führen. Mehr zur Vorgehensweise und zu Beispielen in der Präsentation.

Unter dem Projektnamen „Future Calling“ entstand ein Bildungsspiel zur Zukunftsge-
staltung. Marc Haug (Ökologisches Bildungszentrum München) und Dr. Katrin Geneuss (Star Manufaktur München) präsentierten das Spiel, das Lernziele in den Bereichen Zukunftsgestaltung, Nachhaltigkeit und Werteerziehung anstrebt. (zur Website)

Das Fachprogramm Medienpädagogik des Bayerischen Jugendrings stellte Melda Werstein vor. Hier kann finanzielle Förderung für medienpädagogische Projekte beantragt werden, die bis zu einer Höhe von 15.000 Euro pro Kalenderjahr gewährt wird. Einige Best-Practice-Beispiele wurden vorgestellt, weitere Infos zum Förderprogramm gibt es auf der Website.

Beim Abendprogramm galt das Motto „Hands on“: Christina Müller und Julia Schuster stellten die Bildungsbausteine der 29++ Klimaschutzbildung des Naturerlebniszentrum Burg Schwaneck vor, das vom KJR München-Land in Pullach betrieben wird. Die Präsentation steht zum Download bereit, außerdem findet am 12. Mai 2022 ein Netzwerktreffen Klimaschutzbildung statt.

Hier noch einige Impressionen vom Abendprogramm und vom weiteren Tagungsgeschehen: